Strukturbezogene Psychotherapie bei Kindern und JugendlichenHorn, H. – veröffentlicht am 29.5.2015

Vorstellungsgründe und Symptome, die Eltern veranlassen, eine Psychotherapie für ihre Kinder oder Jugendlichen in Betracht zu ziehen, haben sich in den vergangenen 20 Jahren geändert. Kinder und Jugendliche werden weniger wegen Ängsten, Zwängen, depressiven Verstimmungen angemeldet. Zunehmend dominieren Klagen über gesteigerte Aggressivität, Unruhe, Impulsdurchbrüche, Konzentrationsstörungen, Schulleistungsstörungen mit Schulverweigerung, Mobbing .Viele dieser Symptome werden durch Kinderpsychiater unter der Diagnose ADHS mit Methylphenidat behandelt. Gemäß Leitlinie wird zusätzlich eine Verhaltenstherapie empfohlen. Solche Kinder spüren, dass sie nicht dazu passen, in der Art, wie sie sich und die anderen erleben und auf sie reagieren. In der Folge sind sie bestrebt, die für sie schwierigen Situationen zu vermeiden(soziale Phobie) oder befinden sich chronisch in einer misstrauischen angriffigen Verfassung.

Bis vor ca. 20 Jahren galten diese Störungen für Eltern und Ärzte weniger als krankheitswertige Störungen, sondern waren eher Gegenstand der häuslichen Erziehung oder pädagogischer Bemühungen. Zunehmendes Wissen z.B. über die Bedeutung von Bindung und Auswirkung von Bindungsstörungen auf die weitere Entwicklung durch Annahmen der Säuglings- und Gehirnforschung machten sensibler für die kindliche Entwicklung. In diesem Zusammenhang wurde der Blick zunehmend auf die Entwicklungsbedingungen struktureller Fähigkeiten wie Regulations- und Steuerungsfähigkeit und Affekttoleranz z.B. Frustrationstoleranz geschärft. Diese Erkenntnisse stehen über Fortbildungen und Elterninformationen Pädagogen und Eltern zur Verfügung. Die Zunahme der externalen Störungen (belegbar durch die Steigerung der Verschreibung von Metylphenidat um jährlich 17% in den letzten 20 Jahren) lenken den Blick auf die Lebensbedingungen dieser Kinder. Insgesamt fällt einerseits eine stärkere emotionale Ausrichtung auf wenige Kinder auf, andererseits betonen Eltern ihr Recht auf Selbstverwirklichung. Es entstehen Belastungen dadurch, dass sich Mütter und Väter verstärkt um eine intensive Beziehungsgestaltung mit den Kindern bemühen, gleichzeitig Karrierewünschen nachgehen und Ansprüche auf begehrte Freizeitgestaltungen realisieren wollen. Erziehungsmethoden, die den Kindern einen großen Freiheits- und Selbstbestimmungsraum geben, den Eltern dadurch größtmögliche Selbstbeherrschung abverlangen kollidieren mit dem Selbstbestimmungswunsch von Eltern und Erziehern und führen ebenso zu chronischen Spannungen, die von beiden Seiten schwer zu regulieren sind. So können wenig Zeit und Gelassenheit im Beziehungsgeschehen zwischen Kindern und den Bezugspersonen und reduzierte äußere Strukturangebote zu den beschriebenen strukturellen Folgen in der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen führen. Daraus resultierende Störungen werden rascher diagnostiziert und damit dem Bereich von Kinderpsychiatrie und Kinderpsychotherapie zugeschrieben. Herkömmliche kinderpsychotherapeutische Behandlungsmethoden, sowohl verhaltenstherapeutische wie analytische, reichen oft nicht aus, weil die Entwicklung von Struktur weder durch Training allein noch durch Deutung vermuteter Hintergründe erfolgreich bewirkt werden kann.

Wenn es eine Chance geben soll, strukturelle Defizite ausreichend zu verändern, dann muss eine Therapie Entwicklungsbedingungen von Struktur bieten und die Folgen der Störung im Therapieverlauf beachten. Anna Freud hat schon 1965 zu der unter den beschriebenen Voraussetzungen zu verändernden Behandlungstechnik Stellung genommen. Die Behandlung besteht darin, Bedingungen zu schaffen, die die Entstehung struktureller Fähigkeiten, ermöglicht, z.B. mit Affektstürmen anders umgehen zu können als mit Impulsdurchbrüchen, durch Versteinern, durch Regulieren mit Alkohol oder Drogen?

Die anzuwendende Behandlungstechnik umfasst drei Schritte:

fehlende strukturelle Kompetenzen werden mit dem Pat. erforscht, um sich in den Therapiestunden darüber verständigen zu können, worum es geht, Möglichkeiten des Erwerbs dieser Fähigkeiten durch entsprechende Techniken (Horn 2011?) werden angeboten in einem Beziehungsklima, das der jeweiligen Befindlichkeit des Kindes oder Jugendlichen Rechnung trägt. Bisherige, pathogene Beziehungserfahrungen können dadurch korrigiert werden. Besonders geachtet wird darauf, dass das Kind oder der Jugendliche das, was er im therapeutischen Rahmen erlebt und erworben hat, in seine Realität übertragen kann. Feedback von Eltern und Erziehern hilft dabei.

Die therapeutische Haltung ist zunächst eine aktive. Die Therapeutin bringt das, was der Pat. noch nicht als das Problem wahrnehmen kann, um das es in der Therapie gehen soll (Behandlungsfokus), in seinen Wahrnehmungshorizont, gestaltet die therapeutische Situation durch entsprechende Interventionen so, dass der Pat. im Nacherleben und Durcharbeiten strukturelle Fähigkeiten entwickeln kann, überträgt aber zunehmend die Verantwortung für die Umsetzung des Erworbenen dem Pat. im Aushandeln dessen, was er schon selbst übernehmen kann oder, wofür er noch Unterstützung z.B. die der Therapeutin braucht.

Strukturbezogene Psychotherapie mit Jugendlichen ist besonders häufig indiziert, da das Jugendalter vor allem durch eine entwicklungsbedingte strukturelle Labilisierung und Neuformung imponiert. Strukturelle Vulnerabilität, resultierend aus den genannten frühen Defiziten führen dabei häufig zu krankheitswertigen Störungen im Rahmen der Ablöseversuche und der Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben. Fokussiertes strukturbezogenes Behandeln der die Weiterentwicklung störenden strukturellen Defizite wie fehlende Selbstberuhigung,, Regulation von Affekten überhaupt, Steuerung und die Unfähigkeit von sich aus Bindungen zu lösen und neue einzugehen sind notwendig, um regressive innere Prozesse aufzuhalten und soziale Folgen bezüglich der Peergroup und der beruflichen Etablierung zu verhindern. Die Therapie verläuft unter Nutzung der Entwicklungsimpulse und der Autonomieappetenz dieser Entwicklungsphase. Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung zielt sowohl auf Korrektur dysfunktionaler Beziehungserfahrungen als auch auf Förderung relevanter Strukturfähigkeiten ab. Von Beginn der Therapie an wird die Mitverantwortung des Patienten für den Erfolg der Therapie benannt. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit der Symptomatik wie bei Schulverweigerung, bei Bulimie und Selbstverletzung. Erlebtes und Erstrebtes muss handelnd umgesetzt werden. Die dadurch erworbenen neuen Erfahrungen werden entsprechend in den Therapiesitzungen durchgearbeitet. Die Funktion des Therapeuten ist mehr die eines Mentors. Beziehungsepisoden in der Therapie werden wie andere Beziehungsepisoden auf ihre entwicklungsfördernde oder behinderte Funktion hin betrachtet und benannt, die auftauchenden Affekte darauf hin beleuchtet, wie sie konstruktiv reguliert werden können.

In der begleitenden Elternarbeit werden die der Störung des Kindes oder Jugendlichen zu Grunde liegenden Probleme benannt und die therapeutische Vorgehensweise erklärt. Im Rahmen einer Exploration der elterlichen Möglichkeiten wird ihnen aktiv Kompetenz übertragen, eine positive Veränderung der Störung des Kindes im Rahmen dieser Möglichkeiten mit zu bewirken. Veränderungsnotwendigkeiten des Familienmusters werden gemeinsam entworfen, die Mitverantwortung der Eltern beim Erreichen des angestrebten Therapieziels unterstrichen. Bei der Elternarbeit in Jugendlichentherapien liegt der Hauptakzent auf der Beachtung und Veränderung der die Ablösethematik fördernden bzw. behindernden familiären Beziehungsmuster.

Strukturbezogene Therapie ist damit zu einem wichtigen Bestandteil der analytischen und tiefenpsychologisch fundierten Kinder- und Jugendlichentherapie geworden notwendige Modifikation des bisherigen Konflikt zentrierten Vorgehens.

Hildegard Horn Analytische Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin : Institut für analytische Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie Heidelberg e.V.

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